Geschichte

Der Muschelsandstein und seine Verwendung

Als vor etwa 30 Millionen Jahren zwischen dem Schwarzwald und den sich faltenden Alpen ein Meer entstand, bildeten sich Gesteinsformationen, die für die späteren Dörfer Mägenwil und Wohlenschwil zum wichtigen Wirtschaftsfaktor wurden. Die Schalen der Meeresmuscheln lagerten sich am Grund des Meeres ab. Die Brandung zerrieb sie zu Sand. Später erhärteten diese Ablagerungen, welche die Geologen zur sogenannten Meeresmolasse zählen. Sie wurden zu Muschelsandstein. Darüber legten sich andere Schichten: Süsswasserkalk, Sand, Mergel. Nur an wenigen Stellen des Mittellands liegt der Muschelsandstein nahe der Oberfläche, zum Beispiel in Estavayer am Neuenburgersee, in Zofingen, in der Region Mägenwil und in Würenlos.

Der Mägenwiler Muschelsandstein splittert kaum und lässt sich gut behauen, weshalb er die Gunst der Bildhauer findet. Seine attraktive Struktur mit den feinen weissen Muscheln, seine grau-grüne, in manchen Formationen auch gelbliche Farbe machen ihn beliebt. Bis heute wird er für Fenster- und Türeinfassungen, Grabmäler, Brunnentröge, Bodenbeläge, Fassadenverkleidungen und vieles mehr verwendet. Die bekanntesten Bauten mit einer Fassade aus Mägenwiler Stein sind die Nationalbank in Zürich und das Bundesgericht in Lausanne. Die Liste weiterer grosser Schaufassaden aus Mägenwiler Naturstein – auch aus jüngster Zeit – liesse sich beliebig verlängern: Kaufhaus Ober und Vita Versicherungen in Zürich, Bankgesellschaft, Kunsthaus und Hauptpost in Aarau, Neue Aargauer Bank in Wohlen, Volksbank in Brugg. In vielen Kirchen des Aargaus schreitet man über Bodenplatten aus Mägenwiler Stein. Nicht zuletzt ist im Aargau manches Feldkreuz, mancher Tränke- und Zierbrunnen aus diesem Material.

Die Nationalbank in Zürich, erbaut 1921 von den bekannten Zürcher Architekten Otto und Werner Pfister, Foto von 1940. Die Fassade besteht aus massiven Muschelkalk-Hausteinen. Die enormen Ausmasse des Gebäudes überstiegen die Lieferkapazität der Mägenwiler Steinbrüche, weshalb die Ostfassade aus Würenloser Muschelsandstein gefügt ist. Einzelne exponierte Quader wurden in Estavayer bestellt. Grossbauten mussten des öftern gleichzeitig aus den Muschelkalkbrüchen von Mägenwil und Würenlos beliefert werden. Damit die Unterschiede in der Steinbeschaffenheit nicht auffielen, nahmen die Architekten den Steinwechsel gewöhnlich nur an einer Gebäudeecke vor.

Die Steinbrüche im Lauf der Jahrhunderte

Vermutlich erster Abnehmer von Mägenwiler Stein war die römische Militärstadt Vindonissa. In den überwucherten Brüchen sind heute keine antiken Abbauspuren mehr zu erkennen. Als 1869 der Zürcher Archäologiepionier Ferdinand Keller den Steinbruch Mägenwil-Berg besuchte, sah er etliche «Stellen, welche vom Gebüsch befreit sich so zeigen, wie sie vom römischen Steinhauer verlassen wurden». Er fand runde Löcher, die beim Heraushauen von Handmühlsteinen zurückgeblieben waren, Werkzeuge, welche mit den Steinhauergeräten des 19. Jahrhunderts vollkommen übereinstimmten, Überreste einer Schmiede, ja sogar einen antiken Säulenschaft, der vor einer Steinhauerhütte lag. Der Mägenwiler Muschelsandstein liess sich besser behauen als der in Vindonissa hauptsächlich verwendete Jurakalk. Er eignete sich besonders für Skulpturen, Säulen und Meilensteine. Zu welchen Zeiten die Steinbrüche nicht ausgebeutet wurden, können wir nur erahnen. Weder die vor den Römern hier ansässigen Helvetier noch die im Frühmittelalter siedelnden Alamannen bauten sich Häuser aus Stein. Erst nach der Jahrtausendwende dürften die Brüche wieder interessant geworden sein, als sich Adelsgeschlechter auf den umliegenden Höhenzügen ansiedelten. Das Mauerwerk ihrer Burgen liessen sie meist aus lokalen Gesteinsarten wie Kalkstein ausführen, doch für gehauene Spezialsteine wie Portale und Treppen eignete sich der Mägenwiler Stein bestens. Schriftlich belegt ist beispielsweise, dass 1642 die barocken Giebel und Portale am Schloss Kasteln vom Mägenwiler Steinmetz Bernhard Dölling geplant und ausgeführt wurden. Muschelsandstein, der für die häufigen Um- und Neubauten an den Kloster- und Ökonomiegebäuden von Königsfelden verwendet wurde, holten bernische Untertanen mit Ochsenkarren in Mägenwil ab. 1657 soll ein grosses Quantum an Steinen für den Wiederaufbau der Festung Stein in Baden gehauen worden sein. Angesichts der Attraktivität der Steinbrüche fühlten sich die Eidgenossen 1637 bei einer Verwaltungsreform in den Freien Ämtern veranlasst, ihre Ansprüche geltend zu machen. Sie befahlen dem Landvogt, den «murern» (Steinhauern) im Steinbruch Mägenwil eine jährliche Abgabe aufzuerlegen, denn solche Steinbrüche stünden der Obrigkeit zu.

Hochbetrieb und Niedergang

Im 19. Jahrhundert befanden sich die Brüche von Mägenwil und Eckwil in privater Hand. An beiden Orten teilten sich mehrere Besitzer in die Abbaurechte. Eine Liste von 1896 nennt für Mägenwil-Berg und Eckwil je vier Unternehmer. Seit den 1860er Jahren dominierte die Steinhauerfammilie Fischer aus Dottikon das Gewerbe. Sie besass in beiden Steinbrüchen die grössten Parzellen und hatte sich 1875, allerdings vergeblich, auch um den Erwerb des Steinbruchs Wohlenschwil bemüht.“ 1908 übernahm der 21jährige Emil Fischer den Betrieb von seinem verstorbenen Vater. Indem er 1921 weitere Teile des Eckwiler Steinbruchs und 1923 vom Lenzburger Bauunternehmer Theodor Bertschinger den Steinbruch «Steinhof» auf Othmarsinger Boden erwarb, schwang er sich zum Monopolunternehmer für die 1959 in eine Aktiengesellschaft umgewandelte Firma Emil Fischer ist heute die einzige Verarbeiterin von Mägenwiler Stein. Der Bau von Eisenbahnen hatte im 19. Jahrhundert eine Blüte der Bauwirtschaft zur Folge. Emsig wurde zweifellos auch in den Steinbrüchen von Mägenwil gearbeitet. Der Mägenwiler Notar Albert Rohr überliefert, in den «dannzumal betriebenen Gruben von Zink, Bernhard Seiler, Geb. Fischer, Widmer, Messing)) seien über 300 Arbeiter beschäftigt gewesen. Diese Zahl scheint enorm, entspricht sie doch mehr als der halben Einwohnerzahl des Dorfs Mägenwil. Leider lässt sie sich nicht nachprüfen, weshalb wir Rohrs Aussage mit Vorsicht zu geniessen haben. Immerhin spricht der Archäologe Keller für das Jahr 1869 nur von ein paar Dutzend Beschäftigten. Als Emil Fischer 1908 seine Unternehmerische Tätigkeit begann, war die Natursteinindustrie arg bedrängt durch den aufkommenden Kunststein. Um der Konkurrenz zu trotzen, eröffnete er 1912 beim Bierdepot am Mägenwiler Bahnhof eine Steinmühle. Dort liess er Steinabfälle zu Körnern und Mehl verarbeiten und verkaufte das veredelte Material an die Kunststeinproduzenten. 1955 entstand 400 Meter östlich davon eine neue Steinmühle. Sie beschäftigte rund ein Dutzend Arbeiter und vermahlte auch fremde Steinsorten. In jüngster Zeit kauften die Kunststeinfabrikanten ihren Rohstoff jedoch billiger im Ausland ein; die Steinmühle Mägenwil war zu Beginn der neunziger Jahre nur noch vereinzelt in Betrieb. Zwischen 1920 und 1930 erlebten die Mägenwiler Steinbrüche eine letzte Hochblüte. Sie fiel zusammen mit Grossaufträgen wie Nationalbank Zürich (1919-1922) und Bundesgericht Lausanne (1922-1927).

Werkplatz mit Laufkran im Sondsteinbruch Mögenwil 1921 mit Angehörigen der Besitzer-Familie Fischer aus Dottikon. Von der Krananlage sind heute noch die Tragsäulen zu sehen. Der abgebildete Platz ist längst von Bäumen überwachsen. Von der ehemaligen Schmiede im Hintergrund links, in welcher die Werkzeuge geschärft wurden, sind nur noch einige Grundmauern sichtbar.

Der Niedergang begann um 1930 und war durch zwei Faktoren bestimmt: Einerseits verdrängten Backstein, Zement und Beton mehr und mehr den Naturstein. Anderseits wurde der Abbau in den Steinbrüchen von Mägenwil und Eckwil immer aufwendiger, da die qualitativ wertvollen Schichten nach Süden abfallen und immer mehr in der Tiefe verschwinden. Der Abbau des Sandsteins in einer Höhle des Steinbruchs Mägenwil-Berg schien gefährlich zu werden und musste eingestellt werden. Wenig später stürzte 1933 die Kaverne teilweise ein. Im Steinbruch Eckwil wurde der wenig lohnenswerte Halbtagebau nötig, weshalb die Firma Fischer den Abbau von Blöcken in den fünfziger Jahren einstellte und auf ihren Steinbruch «Steinhof» beschränkte. Bruchsteine wurden dem Steinbruch Mägenwil-Berg noch bis in die fünfziger Jahre entnommen. Seither liegt dieses Abbaugebiet still. Im Steinbruch Eckwil stand bei der Niederschrift dieses Buchs noch eine letzte Sprengung von Rohstoff für die Steinmühle bevor.15 Die Ortsbürgergemeinde Mägenwil beschloss am 12. Juni 1991, die 3,7 ha Steinbruchland im Berg zu kaufen, die bislang der Emil Fischer AG gehört hatten. Sie arrondierte damit ihren Waldbesitz, stellte den Schutz der gemeindeeigenen Steinbruchquelle sicher und schuf die Voraussetzungen zur Anlage eines Naturschutzgebiets.

Zustand des Steinbruchs Eckwil 1992. In Bildmitte ein alter Verladekran, links die Steinhauerhütten, mannshohe, ziegelbedachte Schopfbauten, die noch vorne offen waren. In der Blütezeit der Steinbrüche zogen sie sich allen Steinbruchwänden entlang, ausser an den Abbaustellen. Unter ihrem Dach wurden die Quadersteine behauen. Nahezu 50 Steinhauer sollen in den zwanziger Jahren hier gearbeitet haben.

Die heute einzige Abbaustelle von Mägenwiler Stein im Steinbruch «Steinhof» auf Othmarsinger Gemeindegebiet, hart an der Grenze zu Dottikon. Die Emil Fischer AG ist der einzige grössere Betrieb in der Deutschschweiz, welcher Muschelsandstein verarbeitet. Trotz Einsatz moderner Mittel wie Pressluftbohrer und Diamantsägen ist die Steingewinnung und -bearbeitung ein mühseliger Prozess. Rund 15 Mitarbeiter gewinnen und verarbeiten pro Jahr etwa 150 m3 Mägenwiler Muschelsandstein.

Arbeit und Arbeiter im Steinbruch

Die Steinbrüche waren bis etwa 1930 in Mägenwil, Eckwil, Wohlenschwil, Hägglingen, Othmarsingen und Dottikon neben der Landwirtschaft ein wichtiger Wirtschaftsfaktor. Sie boten nicht nur den hauptberuflich tätigen Steinhauern und Steinbrechern Arbeit, sondern auch vielen Bauern, die das Handwerk verstanden und sich ein Nebenerwerbseinkommen verschafften. Von der Römerzeit bis ins 20. Jahrhundert wurden dieselben Abbau und Verarbeitungsmethoden angewandt. Die Steinbrecher schlugen mit dem pickelähnlichen «Zweispitz» eine mannsbreite Bresche zwischen den freizulegenden Steinblock und den gewachsenen Fels. War der Stein seitlich vom Fels getrennt, musste er mittels kleiner Keile sorgfältig vom waagrechten Lager gelöst werden. Dabei war die Gefahr des Zerbrechens relativ gross. Auf Holzbahnen und mittels Winden brachten die Steinbrecher den gelösten Block, der mehr als zehn Tonnen wiegen konnte, zu den Steinhauerhütten. Die Steinhauer bearbeiteten den Stein mit verschiedenen Metallwerkzeugen (Zahnfläche, Güggelchambe, Schariereisen), bis er eine ebene Fläche, eine saubere Kante oder die gewünschte Oberflächenstruktur aufwies. Fuhrleute brachten die Steine zum Bestimmungsort oder zum Bahnhof. Während mindestens eines Jahrhunderts waren die Attiger aus Eckwil in diesem Geschäft tätig. Das Führen der Steine von den hochgelegenen Steinbrüchen ins Tal war gefährlich, vor allem im Winter. Es brauchte starke Wagen, Räder und Bremsen. Bis zum Zweiten Weltkrieg bestanden die Steinfuhrwerke aus zwei Halbwagen zu je zwei Achsen. Die eisenbereiften Holzräder waren 15 bis 20 cm breit. Um einen leeren Wagen in den Steinbruch hochzubringen, waren drei Pferde nötig. Mittels Winden und Ketten hängten die Fuhrleute den zu transportierenden Steinquader zwischen die beiden Halbwagen, die unter sich durch einen dicken Stamm verbunden waren. Bei der Talfahrt drückte ein Holzklotz auf den Eisenreif der Räder. Häufig blockierten die hinteren Achsen, was die Zufahrtswege stark in Mitleidenschaft zog.

Steinbrecher und Steinhauer im Steinbruch Eckwil 1930. Oben ein soeben von seinem Lager gelöster Block. Die Arbeit der Steinbrecher führte zu wesentlich mehr Schutt als heute.

An den Abbaustellen in Mägenwil und Wohlenschwil kam die emsige Tätigkeit bereits zum Erliegen, als diese Methoden im 20. Jahrhundert revolutioniert wurden. Nun kamen Pressluftbohrer zum Einsatz. Sie ermöglichten das heute betriebene «Loch-an-Loch-Verfahren» bei der Gewinnung von Blöcken, wobei weit weniger Abfall anfiel. Seit 1927 setzte Emil Fischer diamantbesetzte Sägen ein, um die gebrochenen Blöcke in schmale Platten zu zerschneiden. Für die Gewinnung von qualitativ weniger wertvollen Bruchsteinen verwendeten die Steinbrecher nun auch Sprengstoff. Oftmals sprengten sie im Winter, wenn es in den offenen Steinhauerhütten zu kalt war, um Steine zu behauen. 1879 liessen die Brüder Fischer vom Dorf Mägenwil her einen 300 Meter langen Stollen unter den Sandsteinbruch Mägenwil-Berg vortreiben. Damit wollten sie eine dort entspringende Quelle ableiten, welche die Arbeit behinderte. Dazu verwendeten sie Sprengstoff, der im heutigen Waldhaus der Ortsbürger, dessen Parterre den Steinhauern als Verpflegungsort diente, trocken und warm gehalten wurde. Am 20. Februar 1879 vermochte sich das gelagerte Dynamit aus ungeklärter Ursache zu entzünden. Zwei Steinhauer sowie eine Mutter und vier ihrer Kinder, die im ersten Stock wohnten, kamen bei der Explosion ums Leben. Ein Gedenkstein neben dem Haus erinnert an das Unglück. Im Steinbruch ging es, nicht zuletzt wegen des verbreiteten Alkoholkonsums, rauh zu und her. Morgens vor Arbeitsbeginn nahmen die Steinhauer einen Schnaps, zum Znüni Schnaps und Wein, am Mittag, wenn es warm wurde, Bier. Wer zum Manövrieren der Steine Hilfe benötigte, hatte bestimmte Floskeln zu verwenden, um Kollegen zum Anfassen zu bitten. Dem Ruf «vier Maa aagsproche» leisteten die Steinhauer aus den Nachbarhütten sofort Folge und packten an. Ein Lehrling durfte nicht einfach die erfahrenen Kollegen «ansprechen». Er formulierte bescheiden: «Darf ich bitten?» Ein beliebter Steinhauerbrauch war um die Jahrhundertwende das «Blauen-Machen». Bei schöner Witterung band die Steinbruchmannschaft einen Steinhauerschurz an einen Stecken und marschierte hinter diesem «Banner» zum «Ochsen» in Eckwil, um zu kegeln, zu singen und zu trinken. Die Trinklieder, von denen eines überliefert ist, konnten so gesittet nicht sein: «Zum Zipfel, zum Zapfel, zum Kellerloch ein, und heute muss alles versoffen sein!»

Quelle: Andreas Steigmeier (1993): Mägenwil und Wohlenschwil: Geschichte zweier Nachbargemeinden

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